Der Monatsspruch für den Juni 2023 ist spannend. Vordergründig wünscht mit diesem Satz ein alter Vater seinem Sohn alles erdenklich Gute und spricht ihm Gottes Segen zu. Es wirkt wie ein Stück heile Welt, wie eine Oase der Liebe und des Friedens. Aber wer die Geschichte dahinter kennt, der weiß: Während der Vater seinen Sohn segnet, belügt dieser gerade seinen segnenden Vater und er hintergeht seinen älteren Bruder. Die Geschichte, wie es zu diesem Segenswort gekommen ist, ist gemein. Jakob und Esau sind beide Söhne von Isaak. Esau hat als der Ältere ein Anrecht auf einen besonderen Segen seines Vaters. Als Isaak im Sterben liegt, möchte er Esau segnen. Zuvor soll er ihm ein Tier jagen und es ihm zubereiten. Jakob erfährt davon. Während Esau dem Braten nachjagt, geht Jakob zu seinem Vater ins Zelt und tut so als sei er Esau. Isaak ist schon sehr alt und seine Sinne sind nicht mehr so scharf wie früher. Also geht er Jakob auf dem Leim und segnet ihn fälschlicherweise. Da nun der Segen einmal erteilt war, geht Esau so gut wie leer aus. Hinter diesem schönen Segenswort steckt also eine Geschichte von Verrat und Betrug. Geschichten wie diese kennen wir auch in unserer Zeit. Menschen übervorteilen sich oder betrügen einander. Besonders schlimm ist es, wenn so etwas unter Geschwistern passiert. Aber wie geht man damit um, wenn es passiert ist? Kann man dann noch miteinander unterwegs sein? Die Geschichte von Jakob und Esau lehrt uns, es ist nicht einfach. Nachdem Jakob nach seinem Betrug vor Esau geflohen war, trafen die Brüder sich nach vielen Jahren wieder. Irgendwie haben sie sich versöhnt. Aber so richtig herzlich wurde ihre Beziehung nicht mehr. Es gibt Verletzungen der Seele, die können wir Menschen nicht reparieren. Wahrscheinlich gehören Verrat und Betrug unter Geschwistern dazu. Deshalb brauchen wir Gott, der das kann. Und wir brauchen Achtsamkeit im Umgang miteinander, damit so etwas gar nicht erst passiert.
Jörg Matthies, Pfarrer der Marienkirchgemeinde im Striegistal